Die herausgehobene Zeit


Die Zeit, vom Alltag abgetrennt,
Verbringe ich mit dir.
Wie zwei Komplizen schaffen wir
Den Zauber, der wilde Rosen fern
Der Außenwelt erblühen läßt
Und uns auf eine Insel voll glitzernd Farben bringt.
Vor fremdem Zwang geschützt im Ring
Der beiden Mikrokosmen erbläßt
Das Äußere, entwertet sich.
Betonung liegt auf Autarkie und Mystik.
„Idylle“ nennst du es. Und ich,
Ich predige den Aufruhr ohne Rücksicht.
20.10.99

 

 

Lebensstufen


...das Jahr ist kein glatter Kreis, nicht der vage Traum
von einer Uhr, sondern ein schattiger
Moment nach dem andern
..          Margaret Atwood


In meinem schweren Kopf,
wo einst das Lachen der Kinder brach,
brennt blütenstäubig der Liebe Halm
vereinsamt in der Sommernacht.
Das Zwiegespann der Zeit rast, rattert
ungestüm den Holzweg meines Lebens,
streut aus die widerspänstig Tiefe
aus seinen wolkenschweren Wogen.
Das Feuer ist nicht aus.
Die Flammen schlagen höher.
24.08.00

 

Herbst


Nebelschwaden, diese Tentakelarme,
breiten sich jeden Morgen über der Stadt.
Der Sonne golden Auge
schaut verschlafen zu uns herab.
Durchsichtig läuchten die Kronen
der alten Obstbäumen im Garten.
Dünne Fäden der Spinnweben
halten vergebens den Sommer zurück.
Lange Abende hab ich vergeben
für das Lesen von libro segreto -vage Begegnung mit all dem
Vergessenen.
14.09.00

 

Erkenntnis


Auf leisen Füßen kommt der Herbst,
vergoldet Blätter, färbt die Bäume rot,
sorgt für die Fülle auf den Feldern.
An einem Mußetag, verirrt in Apfelgärten,
nahm ich mir eine runde Frucht
mit Kinderneugier kostend.
In Neonschrift kam die Erkenntnis,
das Weisesein verdanke ich dem Älterwerden.
16.09.00

 

Oktober liegt in der Luft


Der Fönwind reisst Blätter zu Boden,
wirbelt Staub durch die Luft.
Morgens liegt der Reif auf der Wiese,
Singender Klang der Enten im Flug.
Abende, Nächte zwischen Grübeln,
Wachliegen gespannt.
Mit dem Fahrrad ins Böhmische
durch das nebelumwobene Tal.
Und im Park hängt der Wein rot,
Zinnober.
Einlullend kommt der Herbst.
Es ist Oktober.
30.09.00

 

Was ich heute bin


Aus der sagenumwobenen Lethe
trank die Seele
vor meiner Geburt.
Freigeworden von einmal Vergessenem
Gab sie mir Erinnerungen,
die ich niergends erfuhr.
Die beglückende Fülle
des Lebens
25.09.00

 

Des Lebens Wahrheit


Woher kommen wir?
Wer sind wir?
Wohin gehen wir?
Alte Fragen wie ehe und je.
Der Gottheiten nackte Statuen
in den Landschaften
mit weißem Schnee.
Blau ist die Linie,
die anfängt am Horizont,
braun der Raum, unbekannt.
Düstere Witterung,
stürmischer Winde entsätzlicher Ton.
Und nur die zärtliche,
leuchtende Haut einer Liebenden
zaubert die Antworten
auf die ewige Suche
nach Sinn.
13.10.00

 

Zittauer Altstadt


Und die stummen Mauern
werfen die buckligen Schatten
in die Gäßchen mit alten Laternen.
Uneben bepflasterte Straße
biegt unerwartet rechts ab -führt durch den modrig riechenden
Tunnel,
so eng, im Mittelalter gebaut;
noch eine Straße
mit leer stehenden Häusern,
die Überreste früherer
Schilder in veralteter Schrift -„SÜDFRÜCHTE.
KOLONIALWAREN“.
Hier werden Jahrhunderte
rückwärts gedreht,
hautnah spürst du hier Geschichte .
7.07.00

 

Zur Zeit der Nacht


Schwebe weit über die Brücken,
du mein Traum, vom Tau gesandt.
Lass die bunten Blumen wachsen
aus dem schwarzen Strassenrand.
Flieg vorbei an Pendeluhren
mit den Flügeln feiner Geige.
Lass die Hunde leise knurren -nachts sind auch die Starken feige.
Bleibe nicht auf Häusergiebeln,
wo der Mond die Wache hält
an den Fensterm, fest verriegelt,
an den Mauern, schreiend grell.
Lass uns häuptlings beide tanzen
auf den Lichtern dieser Stadt,
um die Schlauheit, alt und ranzig,
schlagen wir ein Riesenrad.
Lass von oben still erklingen
andrer Wahrheit rauhen Sang,
das Gestein zum Rollen bringen,
das Gemauer aus Misstrau‘n.
März 2000

 

Zittauer Park


Der Park -mein gewohnter Weg zur Arbeit,
vom Flügelschlag der Raben erhellt,
alte Bäume, hellgrüne Wiesen ringsum,
auf Papierkörben rittlings
sitzende Katzen nach den Mahlzeiten
fischend.
Der Park -mit Wasserspielen
wie ein schatzüberfüllter Saal.
Warm durch den Blätter Rand
grüßt mich die Sonne, malt mir
schattige Kringel aufs Kleid.
Tausend Farben, Düfte, Autogeschrei.
Der Park
liegt nicht in Paris, nicht in London,
ist unverblümt schlicht,
ein Vierzeiler im historischen
Gartengedicht.
7.07.00

 

Die Nächte in dieser Stadt sind ruhig und still. "Hast du schon Alpträume hier gehabt?"- fragt mich mein kleiner Sohn. "Nein, seitdem wir hier sind, nicht". "Ich auch nicht" Die Stadt, wo wir früher gewohnt haben, war mit schlechten Träumen geschwängert. Die letzten Jahre waren besonders schlimm. Wir haben diese Nächte überstanden, indem wir uns eng aneinander gekuschelt haben. Oft suchte ich nach einem kleinen Bein oder Arm, weiß schimmernd im Mondlicht auf der Decke. Um dieses kleine Wesen nicht aus dem Schlaf zu reißen, faßte ich mit den Fingerkuppen an die kühle Haut, lauschte dem Auf- und Ab des ruhigen Atems und konnte wieder Mut fassen und nach einer Weile einschlafen in Gewißheit, daß der Tag Licht bringt.

                Diese Nacht höre ich dem gleichmäßigen Lauf der Wanduhr zu, schau aus dem Fenster auf die im Dunkeln veränderte Landschaft und beruhigt setze mich an den Schreibtisch. Ich habe sie liebgewonnen, meine Gewohnheit, nachts einfach wach dazuliegen, in Gedanken andere Gegenden und Zeiten aufzusuchen, mich mit den Menschen zu unterhalten, die in dieser Gegenwart, in diesem Moment gar nicht existieren. Es gibt sie nur in meiner Erinnerung, meiner Vorstellung, meiner Realität von damals. Das bedeutet aber nicht, daß diese Menschen nicht real sind oder gar nicht existent sind. Viele von ihnen leben; nur der Strom der Zeit hat sie im Damals gelassen. Im Jetzt, mit anderen Ereignissen und Begebenheiten konfrontiert, sind sie mir unbekannt. Ich akzeptiere das. Wenn ich wieder mit diesen Leuten zusammen bin, kann ich an unsere gemeinsame Vergangenheit anknüpfen und weiter dort machen, wo wir vor Zeiten aufgehört haben. Dies ist eine wertvolle Erfahrung für mich, die mir die Angst genommen hat, daß die Leute einfach aus meinem Leben verschwinden können, so wie manche Stationen am weiterfahrenden Zug aus der Sicht verschwinden und nur das ziehende Gefühl hinterlassen: das war's wohl. Es gibt bestimmte Haltepunkte auf der Strecke zwischen zwei Orten, die ich unaufhaltsam frequentiere. Sie sind im Fahrplan fest verankert. Um den Ort B vom Ort A zu erreichen, muß ich dort umsteigen. Und so verhält es sich mit den Menschen, die mir da und dort begegnen und ans Herz wachsen: ich kehre zu ihnen immer wieder zurück.